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Wenn die Toten erwachen - zum 100. Todestag von Henrik Ibsen
 
Vor hundert Jahren starb Henrik Ibsen, der große norwegische Dramatiker. Sein Werk ist bis heute noch präsent und unverändert aktuell - Ibsen ist neben Schiller und Shakespeare der meistgespielte Bühnenautor unserer Tage. Vordergründig betrachtet sind seine Gesellschafts- und Ideendramen mit ihren typisierten Figuren zeitbedingt - aber der Schein trügt. Fassaden der Unehrlichkeit, Heuchelei und gespielte Naivität wie in den "Gespenstern" erinnern allzu sehr an heutige Zeiten, Doppelmoral und Zynismus in "Die Wildente" haben Hochkonjunktur, und das Drama "Der Volksfeind" wirkt wie ein vorläufer in der Benennung ökologischer Krisen und der Vertuschung durch die Staatsgewalt.
Ibsen war aber nicht nur ein unerbittlicher Kritiker der herrschenden Systeme politischer und kirchlicher Machtanmaßung, sondern auch auch ein differenziert beobachtender Historiker in seinen historischen Dramen wie der "Der Kronprätendenten" oder ein scharfer religionswissenschaftlicher Analytiker in seinem Drama "Brand", das übrigens einen früheren deutschen Kanzler so beeindruckte, dass er seinen Namen daraus übernahm....
Am deutlichsten zeigt sich sich Ibsens Sprachkunst in dem fast zu einem nordischen Mythos gewordenen Stück "Peer Gynt", der Saga vom rastlos durch die Welt streifenden und suchenden Mann, der nirgends Erfüllung findet, bis ihn symbolisch am Ende der Irrfahrten die liebende Frau, Solveig, gleichnishaft erlöst, ein Stück, das seinen Freund Edvard Grieg zu seinen unvergesslichen Kompositionen ermutigte.
Auch wenn Ibsens manchmal zu deutlich aufgetragene Moral - die sein jüngerer Landsmann und erbitterter Gegner Knut Hamsun heftig kritisierte - heute das Regietheater ermuntert, sehr vordergründige politische Botschaften daraus zu machen, so bleibt Ibsen doch neben Goethe, Schiller und Shakespeare einer der ganz großen Gestalten des Theaters.
Seine Darstellung des jungen Oswald in "Gespenster", dieses Bild eines Verzweifelten, schuldlos verurteilt, hat menschliche Größe - und alle großen Darsteller von Will Quadflieg bis Klaus Kinski erprobten ihr können an dieser Rolle.
 
Wenn die Toten erwachen
 
1899 schrieb Henrik Ibsen sein letztes Drama mit den bezeichnenden Titel "Wenn die Toten erwachen". Hatte sich Ibsen vorher in seinen gesellschaftskritischen Dramen als Ankläger und Aufklärer gesehen, so stimmte sein letztes Stück eher auf versöhnliche und selbstkritische Töne ein. Ibsens Spruch "Dichten heißt über sich selbst Gericht halten" findet in diesem Stück seinen Widerhall, denn der Hauptprotagonist, der Künstler und Bildhauer Rubek reflektiert über sein äußerlich erfolgreiches, aber innerlich liebloses Leben und bekennt sich sogar zu einer eigenen Schuld. Das handlungsarme Stück lebt von den Dialogen: der Künstler Rubek und seine junge Frau Maja verbringen einen Urlaub am Rande der Berge Norwegens. Maja, die für Rubek mehr ein Spielzeug und ein Zeitvertreib ist, langweilt sich an der Seite ihres Künstlergatten tödlich, zumal Rubek sie mit gelinder Herablassung behandelt. In diese Ehekrise brechen nun zwei weitere Personen ein und treiben die Handlung bis zur Katastrophe. Ulfheim, ein rücksichtsloser Naturbursche, der nur der Bärentöter genannt wird, lernt Maja kennen und sie ist fasziniert von seiner wilden Ursprünglichkeit, die ihr wie wirkliches Leben erscheint. Rubek wird mit Irene konfrontiert, einer zeitweise verwirrten Frau, die in früheren Zeiten einmal Modell für Rubek gestanden hat, bis er ihrer überdrüssig wurde und sie, die ihn wirklich liebte, verließ.
Irene versumpfte dann in in Kneipen und Varietes, schafftees aber, sich durch wechselnde Heiraten durchzubringen, bis sie in einer psychatrischen Klinik landete. Irene wirft Rubek vor, er habe sie nur als künstlerische Inspiration benutzt und dann weggestellt, was für sie eine Totalzerstörung bedeutete. Ihr Leben sei nutz- und sinnlos gewesen, im Grunde genommen ungelebtes Leben.
Wie bei Nora oder Hedda Gabler spiegelt auch diese Frauenfigur Ibsens Grundmotiv des "ungelebten Lebens", aber ihre Anklage bewirkt bei Rubek Reue, Besinnung und die Erkenntnis, dass auch sein Leben, letztendlich genauso ungelebt wie das ihrige ist. Aus dieser bitteren Erkenntnis eines verpfuschten Lebens heraus beschließen beide, einen lebensgefährlichen Aufstieg zum Gipfel zu unternehmen, um dort symbolisch einmal sich in ihrer Liebe zu vereinigen.
Derweil lässt sich Maja erst widerstrebend, dann bewusst auf den rücksichtslosen, aber ehrlichen Bärentöter ein und jubelt am Ende des Stückes befreit auf, dass "der Vogel nun frei ist, die Zeit der Gefangenschaft ein Ende hat", während Rubek und Irene von einer Schneelawine überrascht und verschüttet werden. Die Irene begleitende Diakonisse, einem düsteren Schatten gleich, ruft den Untergehenden und den neu ins Leben aufbrechenden ein "Friede sei mit euch" nach.
Ibsen hat hier in elegischer und entsagungsvoller Weise noch einmal die Kernmotive seines gesamten Schaffens verarbeitet, wobei seine Sprache gerade durch symbolhafte Überhöhung trotz ihres treffenden Realismus den Leser, Hörer und Zuschauer in ihren Bann zieht. Das Stück erreichte nie den Bekanntheitsgrad der früheren Werke, obwohl es eigentlich einen Schluss- und Höhepunkt in Ibsens gewaltigen Schaffen darstellt.
 
Dr. Ulrich Kriehn, 04/2006
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